"COVID-19 wird zu einem Digitalisierungs-Boost führen. COVID-19 hat uns in der Digitalisierung um 5-10 Jahre nach vorne katapultiert.“ Dies sind Aussagen, die man die letzten Monaten hören konnte. Doch in welchen Bereichen wird der Digitalisierungstrend im „Next Normal“, also nach COVID-19 besonders stark und nachhaltig wirken? und welche Evidenz gibt es dafür?
COVID-19 war ein Weckruf für die digitale Transformation. Bereits stark digitalisierte Firmen konnten ihren Betrieb reibungsloser aufrecht erhalten und es ist davon auszugehen, dass diese die Krise erfolgreicher durchlaufen werden als Unternehmen mit tiefem Automatisierungs- und Digitalisierungsgrad. Home-Office und Online-Shopping haben im Alltag eines Grossteils der Bevölkerung Einzug gehalten. Diese Arbeits- und Konsumformen sind durch die Digitalisierung überhaupt erst möglich geworden. Satya Nadella, CEO von Microsoft sagte: «Da COVID-19 viele Teile unserer Arbeit und des Lebens beeinflusst, haben wir eine digitale Transformation im Wert von 2 Jahren innerhalb von 2 Monaten gesehen.»
Zuerst wird jedoch gespart werden
Gartner Research geht davon aus, dass die weltweiten IT Ausgaben im Jahr 2020 um 8% sinken werden. Dies aufgrund der Corona Pandemie und der dadurch entstandenen globalen wirtschaftlichen Rezession. CIOs müssen ihre Ausgaben auf Technologien und Dienstleistungen fokussieren, die unmittelbar geschäftskritisch sind. Initiativen, die auf eine mittel- oder längerfristige Transformation abzielen, werden tendenziell verschoben.
Sobald aber die Wirtschaftsaussichten wieder in eine positivere Richtung zeigen, sowie für Vorhaben die kurzfristige wirtschaftliche Vorteile bieten, wird die Digitalisierung einen starken Schub erleben. Nebst branchenspezifischen Digitalisierungstrends, ist insbesondere davon auszugehen, dass die folgenden 4 Themenbereiche zu den Gewinnern der Post-COVID-19-Stärkung gehören:
1) Die Reise in die Cloud und innerhalb der Cloud wird zum Normal
Gemäss Morgan Stanley sind in den letzten vier Jahren die Ausgaben für Cloud Services wie Infrastructure as Service (IaaS), Software as a Service (SaaS) , und Platform as a Service (PaaS) in den USA bereits mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate, sprich mit einem CAGR, von 28% gewachsen.
COVID-19 hat diesem Trend weiteren Schub verliehen. Im März 2020 wurde sofort klar, dass die Fähigkeit neue digitale Applikationen zeitnah lancieren zu können, sowie bestehende Lösungen zu skalieren zentral ist. Und, dass dies den Firmen, die dazu in der Lage sind, entscheidende Wettbewerbsvorteile bietet.
Im März 2020 haben AlphaWise und Morgan Stanley einen US CIO Survey durchgeführt. Dabei haben 89% der befragen CIOs angegeben, dass im Vergleich zum Februar die Cloud-Nutzung um 54% zugenommen hat. Der Ursprung dieser starken Steigerung liegt in der Unterstützung der remote arbeitenden Mitarbeitenden, der Skalierung von digitalen Dienstleistungen sowie dem Bedürfnis Aufwände von CAPEX auf OPEX zu verschieben.
Auch Gartner geht davon aus, dass 75% aller Databases bis 2022 in die Cloud verschoben werden und Cloud Data Management Firmen sagen, dass die Nachfrage seit März 2020 in nie zuvor gesehenem Ausmass angestiegen ist. Der State of the Cloud Report 2020 von Flexera zeigte ähnliches: 59% der befragen Unternehmen erwarten einen deutlichen Anstieg in ihrer Cloud Nutzung und die Migration in die Cloud steht für viele weit oben auf der Agenda.
Damit einhergehend und auch im Zusammenhang mit Remote-Arbeit sowie Online Dienstleistungen für Kunden, gewinnt auch das Thema Security an hoher kurz- und langfristiger Bedeutung.
2) Ähnlich wie beim Home-Office: COVID-19 hat selbst Skeptiker des digitales Retailings zur Nutzung der digitalen Möglichkeiten bewegt und nachhaltig überzeugt
Es ist davon auszugehen, dass das Jahr 2020 in die Geschichte des E-Commerce eingehen wird. Es sind in den letzten Monaten zwei Effekte zusammen gekommen. Einerseits waren viele Waren lediglich auf diesem Kanal verfüg- und kaufbar. Andererseits sind durch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit in den Haushalten finanzielle Mittel freigeworden. Budgets, welche üblicherweise für Restaurant- und Barbesuche oder Reisen verwendet wurden, wurden für Online-Einkäufe verfügbar.
Analysen der Credit Suisse gehen davon aus, dass die Online-Umsätze im 2020 gegenüber dem Vorjahr um 30% steigen werden. Heimelektronik-Online-Anbieter verzeichneten beispielsweise in den letzten Monaten ein stark erhöhtes Bestellaufkommen. Dieses ist mit einem typischen Vorweihnachtsniveau vergleichbar.
Es ist davon auszugehen, dass auch nach COVID-19 der Online Handel weiterhin wachsen wird. Denn, er hat neue Kunden gewonnen und bestehende Nutzer stärker binden können. Die Bequemlichkeit, die sogenannte «Convenience» war schon vor COVID-19 ein bedeutendes Kundenbedürfnis. Der Online-Handel hatte nun die Gelegenheit, auch Skeptiker davon zu überzeugen, dass er diese bieten kann. Insbesondere hat sich ein entscheidender Nachteil des Online-Handels abgeschwächt. Wenn wir davon ausgehen, dass man künftig durch flexibleres Arbeiten öfters zu Hause ist, fällt das Entgegennehmen der Pakete ebenfalls einfacher.
3) Berührungsängste: Kontaktloses Bezahlen und noch mehr
Kontaktloszahlungen und insbesondere Onlinezahlungen im Kontext von Online Shopping haben während dem Lockdown stark zugenommen. Gemäss einem Beitrag von Radio SRF und Angaben der SNB und einer Studie der Universität St. Gallen wurde vor COVID-19 in der Schweiz zu 70% mit Bargeld bezahlt. Seit Mitte März 2020 hat sich dieser Anteil um 32% reduziert und die kontaktlose Bezahlung hat um 18% zugenommen.
Da künftig mit einem schnelleren Wachstum des Online Handels gerechnet wird, ist davon auszugehen, dass auch die Entwicklung des digitalen Bezahlens damit einher gehen wird. Ich erwarte auch, dass das digitale Portemonnaie und kontaktloses Bezahlen sowohl Online als auch Offline auf einem höheren Niveau bleiben und weiter wachsen wird. Denn, sind die Hemmschwellen bei einer Person erst mal abgebaut, findet die Anwendung immer breiter statt. Hinzu kommt, dass die Menschen gegenüber der Verbreitung von Bakterien eine höhere Sensitivität entwickelt haben. Auch wenn man sich jeweils künftig in den Sommermonaten vielleicht weniger Gedanken darüber machen wird, kann ich mir gut vorstellen, dass jeweils in den «grippe-anfälligen Monaten» diese Sensitivität langfristig immer wieder an Bedeutung gewinnen wird. Denn, das entsprechende Bewusstsein ist in den letzten Monaten stark gestiegen.
«Touchless» wird künftig nicht nur beim Bezahlen an Bedeutung gewinnen, sondern bei allen Anwendungen im öffentlichen Bereich wie z.B. Lift, Billettautomaten, Türöffnung im ÖV, Self-Service-Kassen und dergleichen.
4) Always Online. Unterhaltung und Arbeiten Anywhere. Ohne Netzwerk-Konnektivität geht nichts.
COVID-19 hat zu einem Anstieg der Konsumation von digitaler Unterhaltung geführt (Streaming, Gaming). Gleichzeitig hat Home-Office gezwungenermassen starke Verbreitung und damit Akzeptanz gefunden.
Im Sommer habe ich in einem Unternehmen eine Reihe von strukturierten Re-Gnose Interviews durchgeführt. Alle Interview-Teilnehmenden gingen davon aus, dass sie und ihre Arbeitskollegen künftig regelmässig im Sinne von «work from anywhere» im Homeoffice oder an anderen Orten, ausserhalb des traditionellen Arbeitsplatzes arbeiten werden. Und die digitale Unterhaltungsindustrie hat neue Nutzer gefunden, die bleiben werden.
Daraus ergeben sich neue Geschäftsmöglichkeiten in den Bereichen Unterhaltung und Arbeits- sowie Kommunikationsanwendungen. Gleichzeitig hat sich gezeigt, welche Bedeutung der dafür notwendigen Infrastruktur und Bandbreiten zukommt. Auch in diesem Bereich ist davon auszugehen, dass Skeptiker offener für neue, verbesserte Infrastruktur z.B. 5G werden und COVID-19 der Konnektivität und den entsprechenden Technologien über die Krise hinaus weiteren Schub verleihen wird.
Nun stellt sich zum Schluss dieses Artikels die Frage, was dies für Sie und Ihr Unternehmen bedeutet. Wo stehen Sie auf der «Reise in die Cloud und in der Cloud»? Wie können Sie ihre Produkte und Dienstleistungen künftig auch oder verstärkt Online verkaufen? Können Ihre Kunden bei Ihnen bereits möglichst «contact-less» interagieren und bezahlen?
Haben Sie die eine oder andere dieser 3 Fragen für sich damit beantwortet, dass dies in ihrem Geschäftsfeld keine Rolle spielt oder so nicht anwendbar ist, dann ich habe ich noch eine weitere Frage für Sie: «Wirklich?»
Über die Autorin Sibylle Kammer schlägt Brücken zwischen dem Heute und der Zukunft, Technologie und Business, Customer Experience und Innovation, Marketing & Sales, Weiblichkeit und Geschäftsführung.
Ihr Motto: Mit Offenheit und Neugier voran gehen und dabei die Bodenhaftung behalten.
Innovation ist ein treuer Begleiter Sibylle Kammers. Das Thema ist in ihrer Karriere schon in verschiedensten Formen aufgetreten. Sie treibt mit Leidenschaft neue Ideen zum Nutzen von Kundinnen und Kunden voran. Sibylle Kammer spricht und schreibt über die Realität zwischen Vision, Strategie und Umsetzung und schöpft dabei aus ihrer umfassenden, langjährigen Erfahrung als Führungskraft, Geschäftsleitungsmitglied und Verwaltungsrätin in führenden Dienstleistungsunternehmen aus der Finanz- über die Beratungs- bis hin zur Innovationsbranche.
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